»Wenn ich nach der Arbeit meine Stute in ihrem Stall besuche, wiehert sie mir zur Begrüßung freudig zu. Ich kuschel erstmal eine viertel Stunde mit ihr, bevor ich sie aus dem Stall führe und mit ihr etwas Bodenarbeit mache. Dabei ist sie häufig zu kleineren Späßchen aufgelegt. Wenn ich ihr bei einer Übung beispielsweise zu langsam mache, dann begibt sie sich hinter mich und stupst mich an. Pferde machen sowas, wenn einem anderen mitteilen wollen, sich schneller zu bewegen. Nach der Arbeit bringe ich sie zurück in den Stall und esse gemeinsam mit ihr zu Abend.
Als sich der Tod meiner früheren Liebe zum ersten Mal jährte, musste ich viel an sie denken. Er hängt mir noch heute sehr nach, da sie sehr unerwartet starb und ich nicht genügend Zeit hatte, mich von ihr zu verabschieden. Als ich an diesem Tag also meine Stute besuchte, merkte sie mir meine Stimmung an. Ich ging zu ihr ins Paddock, setzte mich in eine Ecke der Box und weinte bitterlich. Sie kam dann rein zu mir, stupste mich vorsichtig an und kraulte meinen Kopf mit ihren Lippen, ganz so als würde sie versuchen, mich zu trösten. Ich sagte zu ihr „Geh weg!“ in der Hoffnung, dass sie mich in Ruhe ließe, doch sie blieb und kraulte mich weiter, bis ich vor Rührung lachen musste. Es war eines der wenigen Male in meinem Leben, in dem ich mich von einem anderen Lebewesen komplett angenommen und umsorgt gefühlt habe.« – Stefan G., Vereinsmitglied
Situationen wie Stefan sie schildert, kennen viele Tierbesitzer aus dem Alltag. Häufig kommen Katzen gerade dann zu einem und lassen sich streicheln, wenn es einem gerade schlecht geht – und sobald es einem wieder etwas besser geht, sind sie auch schon wieder weg. Bei Hunden geht die Fähigkeit sogar so weit, dass sie das menschliche Gesicht genauso lesen wie Menschen. Sie schauen zuerst in die Augen und dann zunächst auf die von ihnen aus gesehen rechte Gesichtshälfte. Bei Experimenten konnte auch festgestellt werden, dass Hunde zuverlässig in der Lage sind, Emotionen bei fremden Menschen wieder zu erkennen und richtig zu deuten, wenn sie diese von ihnen bekannten Menschen kennen. Auch reagieren sie entsprechend: wenn der Mensch z.B. wütend ist, machen Hunde oft ein unterwürfiges, fast schon schuldiges Gesicht, das Menschen oft als Schuldempfinden missinterpretieren.
Tatsächlich ist Empathie eine für alle Nachwuchs aufziehenden Lebewesen förderliche, wenn nicht sogar notwendige Fähigkeit. Sie führt zu einer emotionalen Bindung zwischen Elterntier und Nachwuchs und motiviert die Eltern so, das Überleben der eigenen Kinder – zur Not um den Preis des eigenen Lebens oder jedenfalls der eigenen Gesundheit – zu verteidigen und zu sichern. Zur Verstärkung dieses Effektes hat sich bei zahlreichen Tierarten das sogenannte Kindchenschema entwickelt.
Forscher gehen inzwischen davon aus, dass sich die allgemeine Fähigkeit zur Empathie gegenüber Artgenossen und anderen Lebewesen aus dieser Empathie für den eigenen Nachwuchs entwickelt hat. Entsprechend scheint diese Fähigkeit auch bei Kleintieren und bspw. auch Hühnern ausgebildet zu sein. Ratten konnten hier besonders beeindrucken: Bei einem Experiment retteten die kleinen Nager regelmäßig zunächst ihren Artgenossen und ließen sich selbst durch Schokolade nicht davon ablenken. Hier führt die Empathie also nicht bloß zu einem Nachempfinden des Leids, sondern auch zu dem konkreten Versuch, den Artgenossen aus der leidvollen Situation zu befreien.
Die Fähigkeit, Empathie für andere Lebewesen zu empfinden, die Gefühle des anderen richtig zu deuten und sie zu respektieren, ist eine wichtige Grundlage für das Leben in Gruppen wie Herden und Rudeln, in denen sich viele Tierarten organisieren. Sie ist darüber hinaus Grundlage für die Fähigkeit, Ungerechtigkeit zu erkennen und in der Folge bspw. moralisch und mit anderen Lebewesen kooperativ zu handeln. Inwiefern Tiere dazu in der Lage sind, wird Thema eines weiteren Artikels.
Dieser Artikel ist der dritte Teil unserer Reihe „Tierisch menschlich“, mit der wir zu den verschiedensten menschlichen Eigenschaften schauen, inwiefern diese auch in Tierreich auffindbar oder inzwischen sogar nachgewiesen sind.