Der Zweithund

… oder in Deinem Alter sollte man sich nicht mehr so belasten

März 2008
Ich wollte wegen meines dauernden schlechten Gewissens wegen meiner Berufstätigkeit einen Kumpel über Tag für meine Hündin, damit sie nicht alleine ist. Und sollte sich dabei auch für mich etwas Angenehmes ergeben, umso besser.
Aus einer Tierschutzmail erfuhr ich von Ben, Hovawart, 2 Jahre.
Er entpuppte sich als rotzig pubertär, stark wie ein Pferd, nicht leinenführig, aber verstand sich mit meiner Hündin. Immerhin, das wollte ich ja.
Katzen sollte er auch kennen, hatte man mir beschrieben. Stimmte auch. Als Beute. Also jagte er sie, auch in der Wohnung, so daß ich die ersten 3 Nächte mit der Hand um sein Halsband eher nicht schlief, sondern ihn davon abhielt, die Katzen zu zerfleischen. Meine Katze Katze, der blöde Adrenalinjunkie, mußte dann natürlich dauernd vor seiner Nase rumstolzieren, weil sie ja wußte, ich würde ihn zurückhalten. Sie mußte das ja auch nicht tun…

Und irgendwas mußte in seiner Prägephase schiefgegangen sein – er ignorierte mich. Sah mich nicht an oder durch mich hindurch und machte was er wollte. Ich konnte machen was ich wollte. Und bis auf explizite Gewalt wie Prügel oder Teletakt habe ich wirklich alles versucht, sein Verhalten zu beeinflussen.
Am Ende empfand ich für ihn nur noch blanken Haß.

21.7.2008
In einem Forum schrieb ich auf die Frage „Wieviel Hunde würdet Ihr Euch zutrauen?“:

„ich stoße mit 2 gerade an meine physischen und psychischen Grenzen.

Das Problem ist, daß Hund 1 immer gerade Mist macht, wenn ich den Mist von Hund 2 beschimpfe. Und umgekehrt.

Dazu kommen noch 2 Katzen. Das verkompliziert das Ganze nochmal.

Es wird besser, definitiv, aber ich bin erschöpft und habe kaum noch was zum „Nachlegen“

Ein Jahr später: 3.6.2009
Mitterweile war ich ein Wrack: Rücken kaputt, Knie kaputt, Ellbogen kaputt und Nerven kaputt.
So konnte es nicht weitergehen.

Im selben Forum schrieb ich:

Und nun ist es passiert.

Ich bin fertig.

Übermorgen verläßt er mich.

Wenn ich bedenke, daß ich schon vor knapp einem Jahr schrieb, ich wäre erschöpft, erstaunt es mich, daß ich so lange durchgehalten habe. Gut, ein paar Ärzte haben mich so lange über Wasser gehalten, Knochen- und Nerventechnisch, aber noch 10 Jahre halte ich das nicht durch.

Ich habe auch viel erreicht. Er ist ein angenehmer Hausgenosse geworden, nur spazieren gehen sollte man mit ihm nicht. Oder nur, wenn man immer nen Betonpfahl zum Bremsen dabei hat. Und ich bin nicht gerade zierlich gebaut. Auch mit Katzen, Mülleimer, Essen auf dem Tisch, Kopfkissen fressen, und was da alle 30 Sekunden an neuem Mist war, hat sich fast gegeben.

Und ich habe GANZ gewaltig die Dynamik zwischen 2 Hunden unterschätzt.Sie hat nen Schutztrieb und er hat nen Jagdtrieb und unbändige Neugier. Beide sind sie stark (er extrem) und was abgeht, wenn sie nen Feind entdeckt, muß man erlebt haben.

Könnte ich mit den Kräften von vor 15 Monaten hier nochmal einsetzen, vielleicht würde es. Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Aber ich habe sie nicht mehr.

Und seit die Entscheidung gefallen ist, daß er gehen muß, ist er besonders angenehm. Fast schmusig. Herzzerreißend, im wahrsten Sinne des Wortes.

Ich war völlig zerfahren, in mir redeten Persönlichkeitsfragmente, die sonst immer schön zusammen gearbeitet hatten, gegeneinander. Und aus der Außenwelt kamen weitere Stimmen:

„Nicht wieder umwerfen, Du schaffst das nicht“- sagt mein Verstand
„Du hast versagt!!“ – sagt mein Herz
„Ich habe viel erreicht“ – sagt mein Verstand
„Du verrätst ihn! Du bist selber viel zu oft verraten worden, Du weißt wie weh das tut!“ – sagt mein Herz
„Es hat keinen Zweck“ – sagt mein Verstand.
„Aber er ist doch so lieb!“ – sagt mein Herz
„Du hast getan, was Du konntest, und noch viel mehr“ – sagt Wambli
„Ich hätte noch viel mehr tun können!“ – sagt mein Herz
„Was denn. Elektroschocks und Stachelhalsband? Und wann?“ – sagt mein Verstand
„Eben! Du bist nicht geeignet, Du bist nicht gut genug, Du kannst gar nichts!“ – sagt mein Herz
„Ich respektiere Deine Entscheidung“ – sagt Tiger
„Zu rigide Moral ist ungesund“ – sagt der Psychologe
„Noch ein bißchen Cortison?“ – sagt der Orthopäde
„Ich hab ihm ein gutes Zeugnis geschrieben“ – sagt mein Verstand
„Als ob das was helfen wird“ – sagt mein Gefühl
„Du verrätst ihn!!“ – sagt mein Gefühl
„Hatten wir schon“ – sagt mein Verstand
„Ja und?“ – sagt mein Gefühl
„JA VERDAMMT JA ABER ICH KANN NICHT ANDERS!!!“ – ruft wer auch immer
„Natürlich kannst Du anders. Pacta sunt servanda. Ob Du dabei draufgehst oder nicht, ist nicht so wichtig“ – sagt mein Pflichtgefühl
„Zu rigide Moral ist ungesund“ – sagt der Psychologe
„Aber dann hätte ich wenigstens Ruhe“ – sagt die Verzweiflung
„Feigling! Drückeberger! Du hast auch noch andere Verpflichtungen!“ – sagt mein Pflichtgefühl
„Ich mach ein Ritual“ – sagt Wambli
„Mach ruhig“ – sagen mein Verstand und mein Gefühl.

Und „ich“, wer immer das auch damals war, mußte zwei Tage später 600km abreißen und ihn auf diesem Weg irgendwo an einem sicherlich guten Platz lassen. Da hatte ich ihn auch her. Die würden sich wieder gut um ihn kümmern. Sie sind freundlich und kompetent, ich konnte nur hoffen, daß sich jemand findet, der mehr Glück hatte als ich. Bloß mit der Hoffnung hatte ich gerade ein Problem. Kein Wunder, ich bin nicht mehr in der Kirche….

„In Deinem Alter sollte man sich nicht mehr so belasten“ sagt mein Klemptner

Nachtrag März 2010:
Er ist neu vermittelt, hat da mit Menschen weniger zu tun und fühlt sich dem Vernehmen nach recht wohl. Immerhin. Mein Rücken ist wieder in Ordnung, das Knie noch nicht, ein Ellbogen ja, der andere noch nicht, und die Psychotherapie ist erfolgreich abgeschlossen – Also eigentlich die Situation wie vorher. Die soziale Gruppe hier, ein Mensch, ein Hund, zwei Katzen, funktioniert hervorragend. Ich hätte aus den oben genannten Gründen gerne noch einen Rüden. Aber ich wage es nicht.