Ein Vogel

Mein Kater bringt von draußen eine Beute herein, einen Vogel – und er lebt noch. 
Stolz, wie er ist, bewundere und lobe ich ihn ausgiebig. Er ist ein Kater, Katzen und Hund sind Raubtiere, wenn ich mein Herz an sie hänge, muß ich diese Seite ihres Wesens akzeptieren – wenn ich mich in ihn hineindenke, kann ich es sogar verstehen und nachvollziehen – das Gefühl, sich anzuschleichen, zu lauern, den Geist angespannt bis ins Letzte, die Muskeln locker, dann die Explosion, alle Energie in die Muskeln, die Pfoten spüren, die Krallen halten fest, dann ein entspannendes Spielen, und jetzt nicht kaputtmachen, mein Mensch soll sehen, was ich für ein toller Kater bin, und außerdem muß er ja auch mal lernen, wie man einen Vogel fängt. 
Also ins Haus, mit viel Miau ins Wohnzimmer, und endlich interessiert er sich mal für etwas, er hält mich zurück und nimmt den Vogel selber. Vielleicht wird ja doch noch was aus ihm. Sonst ist er ja ganz nett, auch wenn er mich in regelmäßigen Abständen packt und mir zischendes Zeug ins Nackenfell spritzt, aber im Jagen ist er eine totale Niete…  Und auch jetzt frißt er den Vogel nicht, hält ihn nur in der Hand und sieht ihn an – egal, nicht mein Problem, mal sehen, ob da nicht eine Maus zu holen ist.
Ich nehme dem Kater den Vogel weg. 
Setze ihn in meine Handfläche. 
Er sitzt ruhig da. 
Atmet schnell und mühsam. Seine Lunge läuft voll. Zu machen ist da eh nix, bis ich beim Tierarzt bin, ist er längst tot und bei der Hektik, die dabei aufkommt, hätte ich ihn dem Kater auch gleich lassen können. Also halte ich ihn ganz still in der Hand, hülle ihn in Wärme und Liebe, begleite seine Seele auf dem Weg aus dem Körper, versuche, seine Angst in Liebe zu hüllen und sehe ihm beim Sterben zu. Es dauert nicht lange. Der Atem wird angestrengter, er hebt den Kopf, stützt den Schnabel auf meinem Finger ab, die Lungen ist voll und läuft über, er schluckt ein paar Mal das Blut hinunter, sein Kopf sinkt auf meine Hand, der Atem setzt aus. 
Ein Leben ist beendet. Seine Seele löst sich und zieht weiter. Ich hoffe, ich habe ihm das Sterben erleichtert, aber der Augenblick ist vorbei, so wichtig ist das nicht mehr.  Den Körper lege ich draußen auf einen Baum, soll ihn der Kater fressen, er hat ihn ja auch gefangen.  
Katzen fangen und fressen seit ewigen Zeiten Mäuse und Vögel.  
Vögel fressen Würmer und Spinnen.  So ist die Natur organisiert.  
Wer bin ich, daß ich werte?